20. August 2020

In politischen Diskussionen und Auseinandersetzungen ist es zwingend notwendig, zwischen Person und Sache zu unterscheiden.

Das gilt vor allem bei der Frage um die Situation der Landwirtschaft. Wenn Menschen in existentielle Nöte geraten, weil ihnen die wirtschaftliche Basis wegbricht und sie infolgedessen Existenzsorgen haben, dann läßt mich das nicht kalt, dann leide ich mit und die Menschen tun mir persönlich leid.

Und es ist nur tragisch zu nennen, wenn diese Menschen einen Teil dieser Nöte und Sorgen selbst mit verursachen, weil sie die strukturellen Probleme und systemischen Schwächen der aktuellen Gestalt der Landwirtschaft nicht sehen (wollen).

„Bauern klagen über magere Ernte“, so lautet die Überschrift des Zeitungsartikels in der Süddeutschen Zeitung von gestern. „Im Winter zu naß, im Frühjahr viel zu trocken. Deutschlands Bauern haben in diesem Jahr zum dritten Mal weniger Ernte eingefahren als im Durchschnitt der fünf Jahre zuvor.“  

Das ist das Ergebnis einer Bilanz, die der Deutsche Bauenverband am Dienstag vorgelegt hat. Sein Präsident Joachim Rukwied erklärt dazu: „Der Klimawandel manifestiert sich. Wir haben nicht mehr die Stabilität bei den Erträgen, die wir vor zehn, 15 Jahren noch hatten“.

Außerdem ist der Markt für bestimmte Produkte coronabedingt zusammen gebrochen. Bestimmte Kartoffelsorten, die für Pommes produziert wurden, finden keinen Absatz. Statt 180 Euro je Tonne „wanderten sie für 20 Euro in die Biogasanlagen“. Außerdem sind die Ernten „in anderen Teilen der Welt nicht so schlecht wie in Deutschland. Die globale Getreideernte dürfte in diesem Jahr größer ausfallen als 2019“.

Das Ergebnis ist: Die Preise geraten unter Druck und fallen. Weniger Ertrag für deutsche Bauern bedeutet also nicht, dass bestimmte Produkte auf dem Weltmarkt knapp werden und deshalb als Ausgleich die Preise für das „Weniger“ steigen. Im Blick auf die Wetterlage und die davon abhängige wirtschaftliche Situation gibt es auch innerhalb Deutschlands Unterschiede. „Der Osten Deutschlands ist stärker betroffen als andere Teile des Landes“, aber auch regional gibt es große Unterschiede.

„Die Landwirte verlangen deshalb staatlich unterstütze ‚Mehrfachgefahrenversicherungen‘, mit denen sich Landwirte gegen Ertragseinbußen etwa durch Dürren versichern können.“ Eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums wies solche Forderungen allerdings umgehend zurück.

Die Landwirte treffen nun bei einer Gruppe auf Unterstützung, die nicht zu den natürlichen Freunden der Branche gehören. Denn „Umweltschützer plädieren dafür, Landwirte besser auf extreme Wetter vorzubereiten. Dafür bräuchten sie ‚Unterstützung beim Einstieg in eine nachhaltigere landwirtschaftliche Praxis‘, sagte Rolf Sommer,“ ein Agrarexperte beim WWF. Tatsächlich ist „die Ökolandbaufläche auch 2020 weiter gewachsen, um gut 3,5 Prozent.“

Im Parteiprogramm der Grünen in Westerkappeln steht, dass wir gern Landwirte darin unterstützen möchten, den Einstieg in die ökologische und nachhaltige und so zukunftsweisende Bewirtschaftung zu wollen und zu vollziehen. Viele Landwirte aber wollen genau das nicht. Die grünen Kreuze an den Feldern erinnern daran, dass ohne Gifte und ein „weiter so“ die „Ernte in Gefahr“ sei. Dass jetzt schon bei dieser Art der Landwirtschaft die eigene Existenz in Gefahr ist, wollen manche offenbar nicht sehen, ebenso wenig wie, dass ein Teil der Probleme selbst mitverursacht ist. Das nannte ich oben tragisch.

Im Kommentar zur Lage von Michael Bauchmüller („Geld allein hilft nicht“, S.4) heißt es: Wo in diesen Tagen auf den Feldern gearbeitet wird, lasse sich an den Staubwolken erkennen, „die jeder Traktor unweigerlich aufwirbelt. Es gibt dort (vor allem im Osten) viele Äcker, in denen rieselt der Boden durch die Hände wie Saharasand. Diesen Äckern etwas abzugewinnen, wird immer häufiger zum Kampf mit der Erderhitzung.“

Die Forderungen des Bauernverbandes nach staatlicher Hilfe kommentiert der Autor so: „Das mag Existenzsorgen vieler Bauern lindern, es ändert aber nichts am Problem. Denn ihre Verletzlichkeiten haben viele Betriebe selbst geschaffen: durch einen Ackerbau, der Böden auslaugt statt sie zu pflegen; durch Sorten, die vor allem auf Ertrag getrimmt sind; durch Monokulturen, die sich zwar leicht beackern lassen, aber um so anfälliger sind. Ja, die Landwirtschaft ist ein Opfer der Klimakrise. Sie muß sich verändern, um sie zu überstehen.“

Leider sind die Landwirte auch Opfer der europäischen Agrarpolitik. Tragisch ist es, dass hier die Lobbyisten, u.a. des Bauernverbandes, eine Agarpolitik befördern und unterstützen, die genau die Probleme schafft, die die Landwirte in Existenz- und Zukunftskrisen stürzt. Fast allen ist klar, dass die Subventionen komplett anders verteilt werden müssen: Nicht Größe muß gefördert werden, sondern Vielfalt. Die Böden müssen gepflegt werden, nicht mit Hilfe von Bayer, Monsanto und Co, sondern durch eine größere Fruchtfolge.

Natur- und Umweltschützer sind eigentlich „natürliche Verbündete“ der Landwirtschaft. Jahrhundertelang haben die Bauern selbstverständlich Nachhaltigkeit praktiziert; sie wußten, wovon sie leben: von ihren Böden und davon, dass alles funktioniert im Ökosystem: der Wechsel von Sonne und Regen, von Saat und Ernte. Sie wußte auch um ihre Angewiesenheit, wenn sie sangen zum Erntdank „Gott sendet Tau und Regen, und Sonn und Modenschein“.

Nun ist diese Welt – als Theologe muß ich sagen: von Gott ursprünglich gut eingerichtete Welt – „aus den Fugen geraten“, wie Rukwied selbst bemerkt: „Der Klimawandel manifestiert sich“. Die Bauern sind die ersten Opfer; gleichzeitig betreiben sie ihn mit und „befeuern“ ihn. Wie wir alle, als Autofahrer, Urlaubsflieger usw.

Beim Rundgang der Bürgermeisterkandidaten gestern wurde das gleiche Problem an anderer Stelle deutlich: Wir können uns nicht beklagen, dass die Städte und Dörfer sterben, wenn wir selbst bei Amazon und Co bestellen. Denn die bringen die Waren mit Autos in die Häuser. Die fahren nicht elektrisch, sondern die brauchen Benzin und bescheren uns Lärm, Stau und Umweltschäden. So kann eine Verkehrswende nicht gelingen.

Wir selbst sind die Verursacher der kommenden Katastrophe. Das ist tragisch. Aber ehrlich wäre es, diese Probleme zu erkennen und zu benennen – und dann gegenzusteuern, persönlich im eigenen Verhalten und politisch. Dafür werbe ich und dafür werben die Grünen und viele andere gesellschaftliche Gruppen. Auch andere Parteien werben dafür, nur weniger eindeutig als die Grünen.

Heute kommt Norwich Rüße nach Westerkappeln. Ich werde mit ihm als Fachmann für Natur- und Umweltfragen und selber Landwirt diese Frage diskutieren, von 14 bis 15.00 Uhr im Grünen Bürgerbüro an der Bahnhofstraße.

 Interessierte sind herzlich willkommen.

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