30. Juli 2020

Franziska Heinrich ist 20 Jahre alt. Auf die Frage der ZEIT (Nr. 31 vom 23. Juli 2020, S. 10), was bei den vielen Milliarden Euro, die die EU in ein Konjunkturpaket für die Wirtschaft investiert, für ihre Generation dabei sei, antwortet sie: „Für mich als jungen Menschen so gut wie gar nichts. (…) ich finde darin nichts Zielgerichtetes zur Klimakrise, nichts zu sozialen Problemen. Es ist der Ausverkauf unserer Zukunft. Wir investieren Hunderte Milliarden Euro in die Zukunft der Wirtschaft, wie sie heute ist. Und nichts in die Zukunft meiner Generation und dieses Planeten.“

Kretschmann stimmt dem „überhaupt nicht zu“. Er meint, dass die Zukunft in diesem Konjunkturpaket an vielen Stellen mitbedacht werde und das genau „im Interesse der jungen Generation“ sei. Die Vertreterin dieser Generation widerspricht vehement: „Dass Sie keine einzige konkrete Maßnahme genannt haben, die die Zukunft meiner Generation schützt, macht mir Angst, (…) Ich weiß nicht, ob es ein Kernbedürfnis der Menschheit ist ein Auto zu fahren. Für meine Generation kann ich sagen: Ist es nicht.“

Kretschman verweist auf die Realität in der Gegenwart, in der nur 3,9 % der Autos elektrisch unterwegs seien. „Das ist eine Tatsache. Gegen Tatsachen kann man keine Politik machen.“ Dieser Satz provoziert die junge Frau (hätte mich genauso provoziert)- Sie erwidert: „Sie machen Politik nach Tatsachen. Stimmt – aber nur denen der Gegenwart. Die Klimakrise ist auch eine Tatsache.“

Und diese Krise wird die junge Generation hart treffen. Deshalb haben die jungen Menschen aus meiner Sicht ein Recht darauf, dass ihre Zukunft in den Blick genommen wird und dass politische Entscheidungen heute ihre Zukunftschancen berücksichtigen. Wir müssen bei politischen Konzepten aus den Bahnen des Gewohnten ausbrechen und heute radikal umdenken, damit nachfolgende Generationen noch vergleichbare Chancen zum Wohlergehen haben werden wie wir sie hatten. Heinrich fordert das ein, auch in der Wirtschaftspolitik: „Man sollte diesen Menschen“ (die in der Autoindustrie arbeiten und deren Arbeitsplätze künftig wegfallen) eine Perspektive aufzeigen, was in den nächsten zehn oder 20 Jahren passiert, nicht nur im nächsten halben Jahr.“

Hier spricht Franziska Heinrich einen wichtigen Punkt an: Wir belügen uns als Gesellschaft selbst, wenn wir meinen, wir könnten so weiterleben wie bisher. Das geht nicht. Wir werden künftig nicht mehr so viele Autos fahren wie bisher, auch nicht E-Autos. Die natürlichen Ressourcen zur Herstellung z.B. von Batterien sind begrenzt. Franziska Heinrich hat Recht: „Wir retten das Klima selbst dann nicht, wenn wir statt Verbrennern nur E-Autos verkaufen. Wir brauchen eine umfassende Verkehrswende.“

Winfried Kretschmann bringt immer wieder seine Lebenserfahrung ein, von der er 50 Jahre mehr hat als seine Gesprächspartnerin. Die aber hält dagegen: „Uns läuft die Zeit davon“ Deshalb ist Heinrich radikal: „Die Wirtschaft ist im Moment eine Wirtschaft, die nach Grundsätzen funktioniert, von denen wir jetzt schon wissen, dass sie nicht zukunftsfähig sind.“

Genau das ist z.B. auch die Überzeugung von Maja Göpel. Nicht zukunftsfähig ist die Wirtschaft, an die wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben, weil sie „die Ressourcen raubt und Wachstumszwänge hat“. Franzsika Heinrich wünscht sich stattdessen eine „Wirtschaft, die Menschen schützt und an ihren Bedürfnissen orientiert ist.“ Sie hält ‚die Wirtschaft‘ als Allgemeinbegriff für „eine abstrakte Vorstellung. Eine abstrakte Vorstellung kann man nicht schützen, sie kann auch nicht sterben. Die Wirtschaft ist kein Lebewesen. Sie ist wandelbar, wenn wir sie verändern wollen.“

Hier würde ich ansetzen und die Frage stellen: Wollen wir was verändern, nicht nur „die Wirtschaft“, sondern auch uns selbst?

Denn die abstrakte Größe „Wirtschaft“ hängt durchaus mit unserem alltäglichen Verhalten zusammen. Natürlich wächst Amazon, wenn wir dort bestellen. Natürlich nimmt der Verkehr zu, wenn der Online-Handel boomt. Natürlich veröden unsere Orte und Städte, wenn Menschen da nicht mehr einkaufen. Natürlich wachsen die Müllberge, wenn Dinge so billig sind, dass sie schnell und sorglos weggeworfen werden können.

Die abstrakte Größe „die Wirtschaft“ hat durchaus etwas mit mir persönlich zu tun. Wenn „die Wirtschaft“ sich verändern soll, muß ich mich in meinem Verhalten auch ändern. Es geht also tatsächlich um unser Wollen. Wollen wir anders leben:  besser, nachhaltiger, ökologischer – und dann auch freier und verantwortungsvoller im Blick auf die heute jungen und sogar die noch nicht geborenen Menschen? Und können wir das noch – uns ändern; oder braucht es dazu Krisen und Katastrophen wie Covid 19?

Als Theologe würde ich nicht nur wie Kretschmann auf Lebenserfahrung verweisen, sondern auf biblische Erfahrungen. Tatsächlich gab es biblisch eine Neubesinnung und eine Umkehr immer nur nach erfolgten Katastrophen. Als Israel als politische, gesellschaftliche und religiöse Größe durch die Babylonier 587 vor Christus vernichtet worden war, hat sich dieses Volk im Exil wiedergefunden und neu gedacht. Das Ergebnis sind z.B. die 10 Gebote. Der Hinweis: „Ich bin der HERR, dein Gott“ an die Israeliten, der dann auch noch daran erinnert, dass ER sie aus der Sklaverei herausgeführt hat, weshalb man keine anderen Götter haben solle, ist die Erinnerung daran, dass Israels vor seiner Zerstörung anderen Göttern gefolgt ist. Es waren diese anderen Götter, die für die Zerstörung Israels zuständig waren und die Israel das Land, das Leben und die Freiheit gekostet haben. Deshalb möge man nun diesen Göttern nicht mehr trauen und sich an den einzigen Gott halten, der Leben schafft und Freiheit schenkt.

Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Idee des ewigen „Wachstums“ und der primären Ausrichtung des Lebens an den Interessen „der Wirtschaft“ in ihre gegenwärtigen Form uns Menschen und die Menschheit auf einen lebensgefährlichen Irrweg gebracht haben. Biblisch gesehen wäre also „Umkehr“ angesagt. Politisch übersetzt hieße die Strategie: umsteuern. Maja Göpel schlägt vor: „die Welt neu denken“.

Michael Kopatz versucht das in seinem Buch „Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten“ (2. Auflage, München 2019). Unter der Überschrift „Ökonomie der Menschlichkeit“ (361) kommt er dem Ansinnen von Franziska Heinrich schon sehr nahe: „Ökoroutine rückt den Menschen in den Mittelpunkt. Die Wirtschaft hat den Bürgerinnen und Bürgern zu dienen. Das Ziel ist ein gleichermaßen verantwortungsvolles und glückliches Leben.“

In der gesellschaftliche Vision von M Kopatz werden die „Anliegen der Sozial- und Umweltpolitik nicht gegeneinander aus(gespielt). Vielmehr sind alle aufgerufen und werden durch strukturelle Veränderungen zu einem achtsamen Umgang mit Ressourcen bewogen; alle könne auf Bioessen und faire Textilien zugreifen. (…) In dieser Vision drücken sich Wohlstand und gesellschaftlicher Status durch Umsicht und Bescheidenheit aus.“ (375)

Kann man eine solche Vision auf Westerkappeln „runterbrechen“? Wenn z.B. in Westerkappeln ein Laden aufmachte, der faire Kleidung verkauft, dann müßten die Kappelner da auch einkaufen und bestellen. Wenn in Kappeln ein Bioladen eröffnet, dann müßten die Westerkappelner ihn auch aufsuchen und dort einkaufen. Nicht einmal die Woche einen Großeinkauf machen mit dem Auto, sondern dreimal die Woche mit dem Fahrrad in den Ort fahren, um da einzukaufen. Man wäre überrascht, wie schnell der Ortskern belebt würde. Und jede und jeder, der das täte, würde sich ärgern, dass immer noch Autos im Ort das Einkaufserlebnis beeinträchtigen.

Für mich zeigen diese Überlegungen und Beispiele vor allem eines: Wollen wir ganz persönlich einen Wandel der Verhältnisse hin zu mehr Lebensqualität am Ort und für mehr Nachhaltigkeit? Wenn ja, dann muß auch ich etwas dafür tun – durch ein verändertes Verhalten beim Einkaufen und der Nutzung des Autos. Wohlstand und „gesellschaftlicher Status“ drücken sich nun durch Umsicht und bewußtes Verhalten aus und nicht mehr durch das Logo auf dem Auto oder der Kleidung. Eine Chance für Westerkappeln?

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