29. Juli 2020

Ich höre und ich merke: mein „politisches Tagebuch“ wird gelesen. Das ist überaus erfreulich. Wer es liest und wie viele es lesen und was es bei ihnen auslöst, weiß ich natürlich nicht. Aber wenn mich eine Reaktion erreicht, kann ich natürlich auf verschiedene Weise reagieren. Ich kann direkt den persönlichen Kontakt suchen und das direkte Gespräch.

Oder ich kann indirekt reagieren durch Eintragungen in meinem Tagebuch.

Ich höre zuweilen Kritik an meiner Kandidatur. Eine lautet sinngemäß: Der ist Pastor und Lehrer und stellvertretender Superintendent; was will der denn noch alles machen? – Dazu muß man sagen: Seit 20 Jahren ist das Bürgermeisteramt in NRW keines, das ehrenamtlich oder nebenher auszufüllen wäre. Es ist ein Vollzeit-Amt. Früher war der Bereich aufgeteilt: es gab einen Gemeinde-Direktor, der in der Regel ein ausgebildeter Verwaltungsfachmann war; der war der „Chef der Verwaltung“. In Westerkappeln kennt man in diesem Zusammenhang vor allem noch den Namen von Herrn Wermeyer, in Lotte von Herrn Srock.

Das Bürgermeister-Amt war ein überaus in Anspruch nehmendes Ehren- bzw. Nebenamt. Diese ehemals getrennte „Doppelspitze“ in der Kommunalpolitik wurde aufgegeben zugunsten des hauptamtlichen Bürgermeisteramtes. Deshalb ist in der Zeitung im Zusammenhang mit der Bürgermeisterin immer wieder von der „Verwaltungschefin“ die Rede. Ein Bürgermeister ist auch Chef der Verwaltung. Er oder sie ist sozusagen „Gemeinde-Direktor/in“ in Personalunion mit dem Bürgermeister-Amt; wie gesagt: seit ca. 20 Jahren hauptamtlich und „in Vollzeit“.

Das bedeutet: Mit der Wahl zum Bürgermeister verläßt man die anderen beruflichen Bezüge und wird hauptberuflich Bürgermeister/in. – „Nebenher“ läßt sich dieses Amt nicht mehr „erledigen“. Deswegen müßte ich in meinem Fall meinen geliebten Beruf als Pastor als Lehrer aufgeben. –

Menschen fragen mich auch: Wie geht denn so etwas? – Das ist nicht ganz einfach, aber auch nicht unmöglich, weil das sog. „Pfarr-Dienstgesetz“ die Möglichkeit der Beurlaubung kennt – aus ganz verschiedenen Gründen. Ich habe mich in meinem Fall noch nicht konkret damit beschäftigt. Im Falle meiner Wahl  würde ich mich von meiner Kirche beurlauben lassen – sinnvollerweise für 5 Jahre. Denn 2025 wird wieder gewählt. Und wenn ich dann – falls ich 2020 tatsächlich gewählt würde – nach 5 Jahren wieder aus dem Bürgermeisteramt ausschiede, weil ich durch das Votum der Wählerinnen und Wähler 2025 die Wahl verliere, dann könnte ich wieder als Pastor oder Lehrer arbeiten. Die genaue dienstrechtliche Regelung für alle diese Fälle habe ich aber noch nicht angefragt. Ich bin ja auch (noch) nicht Bürgermeister… Ich kandidiere für dieses Amt.

Ein anderer Einwand bezieht sich auf meine Qualifikation und die Frage: Kann der das überhaupt? – Ehrlich gesagt: das weiß ich nicht! Ob ich es kann, das wird sich erweisen. Im Augenblick kann ich nur sagen: Ich will Bürgermeister werden. Und mein Schwerpunkt als Bürgermeister wird, wenn man wählen muß zwischen „Verwaltungschef“ und „politischem Amt“, eher der letztere Aspekt. Dass man als Bürgermeister auch der Chef der Verwaltung ist, ist mir bekannt. Aber als „Chef“ muß man nicht alles können, sondern man muß die motivieren und „leiten“ oder „führen“ können, die ausgebildet und kompetent sind. Im übrigen verstehe ich mich grundsätzlich nicht primär als „Chef“, sondern als Teil eines größeren Ganzen, in diesem Falle der Verwaltung.  Dass ich in diesem „System“ eine besondere und exponierte Rolle habe, ist mir dabei bewußt.

Die Motivation hinter meiner Kandidatur liegt aber eher darin, dass ich den Eindruck habe, Politik müßte deutlicher als bisher die Gestaltung wichtiger Zukunftsfragen angehen. Deswegen kandidiere ich. Frau Rählmann als SPD-Kandidatin in Mettingen hat auf ihren Plakaten das Motto: „Zukunft gestalten“. Ich nehme an, dass das z.B. auch die CDU in Westerkappeln will. Und die Grünen in Westerkappeln wollen es auch. Daher das Motto: „Gestalten statt nur verwalten“. Dass auch „verwaltet“ werden muß, wenn etwas „gestaltet“ werden soll, ist auch klar. Politisch strittig ist, was gestaltet werden soll und wie man die kommunalpolitischen Dinge gestalten will. Darüber darf und soll gestritten werden. Um es an einem eindeutigen Beispiel festzumachen: Die Bürgergemeinschaft lehnt die Reaktivierung der Bahn ab, die Grünen befürworten sie, ebenso wie CDU und SPD. Ein weniger eindeutiges Beispiel: Die GRÜNEN befürworten die Begrünung der Dächer auf kommunalen Gebäuden ausdrücklich; für andere Parteien hat das nicht unbedingt Priorität (wie ich höre).   

Worum als geht es bei der Kommunalwahl 2020 in Westerkappeln? Klar ist: diese Gemeinde muß wie alle anderen gut verwaltet werden. Und sie soll sinnvoll und zukunftsweisend gestaltet werden. Das wollen alle politischen Parteien, die zur Wahl antreten, und das wollen beide Bürgermeister-Kandidaten und Annette Große-Heitmeyer als Kandidatin.

Anders als Frau Große-Heitmeyer, die bewußt nicht als Kandidatin der CDU antritt, sondern die aus dem Amt heraus kandidiert, kandidieren Winfried Raddatz und ich als Vertreter einer politischen Partei. Die CDU unterstützt Frau Große-Heitmeyer und sie ist „mittendrin“ in der CDU-Fraktion z.B. auf der Homepage. Und Wolfgang Jonas als CDU-Fraktionsvorsitzender hat ihrer bisherigen Arbeit auch eine „eins plus“ gegeben. Das heißt: er ist der Meinung, dass man die Arbeit besser gar nicht machen konnte. Mich freut dieses überaus positive Urteil eines ehemaligen Lehrers und ehrenamtlich engagierten Politikers über Frau Große-Heitmeyer sehr. Ich habe mich in der Schule immer über „15 Punkte“ (1+) gefreut. Aber es gibt natürlich andere Menschen, die die Arbeit anders bewerten. Wäre es nicht so, gäbe es ja gar keine Wahl, denn auch darin sind sich alle Parteien doch einig: Wir wollen für Westerkappeln nur das Beste. Und das ist gut so. Weniger als das zu wollen, wäre schlecht für unseren Ort. Welche politische Partei und welche Person als Bürgermeister das am besten realisieren kann, das ist die Frage, die bei der Wahl demokratisch entschieden wird.

Eine letzte, zuweilen geäußerte und an mich herangetragene Anfrage betrifft die „Doppelrolle“, die ich zur Zeit spiele: Ich bin Pastor und ich bewerbe mich um ein politisches Amt. Geht das zusammen? Ich denke: Ja.

Als Pastor bin ich nach evangelischem Verständnis zu etwas berufen: vor allem zur Predigt (Verkündigung) und zur Verwaltung (!) der Sakramente. Mehr muß ein evangelischer Pastor nicht tun, als dieses beides: recht zu predigen und recht zu taufen und das Abendmahl zu feiern.

Für mich als evangelischer Pastor ist neben den klassischen Bekenntnistexten aus der Alten Kirche und der Reformation die Barmer Theologische Erklärung entscheidend wichtig. Hier hängt wie so oft alles an den ersten Sätzen. Die lauten: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt ist, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“ (These 1).

Das bezieht sich nicht auf Pastoren, sondern auf alle evangelischen Christen. Hintergrund der These ist, dass sich viele evangelischen Christen 1933 einen Menschen, der den Namen „Adolf Hitler“ trug, als „deutschen Erlöser“ denken konnten und ihm deshalb folgten. Demgegenüber machen die Synodalen in Barmen klar: Es gibt keine menschlichen Erlösergestalten, die für sich „unbedingten Gehorsam“ beanspruchen könnten. Die „Erlösung“ und auch die „Rettung der Welt“ sind keine menschlichen Möglichkeiten. Sie kommen von Gott her und sind bereits geschehen – wenn auch nicht vollendet. Jesus Christus allein ist der Retter der Welt und der Erlöser der Menschen. – Das kann kein andere Mensch tun – und auch der Staat kann nicht „erlösen“ oder „retten“.

Über das Verhältnis von Staat und Kirche reflektiert dann die 5. These von Barmen. Es ist die längste These. Das zeigt schon an, dass es da kontrovers zugeht. Wichtig aber ist die Aussage, dass es den Staat gibt, weil Gott ihn will. Man könnte zurück fragen: Woher wißt ihr Menschen, was Gott will? – Die Antwort ist immer: aus der Bibel. Deshalb heißt es in der Erklärung von Barmen: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, (…) für Recht und Frieden zu sorgen.“ Und weiter: „Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an.“

Für Christen ist also der Staat eine Wohltat, die sich der Anordnung Gottes verdankt. Diese Einschätzung teilt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 insofern, als dieses besondere Gesetz in seiner Präambel auf Gott Bezug nimmt. Verfassungsrechtler und Staatsphilosophen streiten darüber, ob das mehr eine allgemeine Formel sei, die eine weitere Dimension in das sehr gute menschliche Werk des Grundgesetzes einbringt oder ob es gar der Gott Israels ist, der sich in Christus offenbart, auf den da Bezug genommen wird.

Das sind spannende und sehr grundsätzliche staatsphilosophische und theologische Fragen.

Keine Frage ist, dass aus der (christlichen; evangelischen, in Barmen neu formulierten) Hochachtung gegenüber dem Staat und dem Grundgesetz, das politischen Parteien eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung des Staates zudenkt, folgen könnte, welche politische Partei eine wählt oder in welcher Partei er sich engagiert. Also: Christen müssen nicht automatisch bei den Christ-Demokraten mitmachen und Pastoren müssen nicht grün wählen oder „grün sein“. Es gibt Christen, die sind bewußt bei der CDU, andere sind bewußt der SPD beigetreten und andere sind bei den Grünen engagiert. Diese Buntheit ist wunderbar, und der politische Streit um den richtigen Weg bei der Gestaltung der Zukunftsfragen ist unerläßlich.

Ich habe gestern das Streitgespräch zwischen Winfried Kretschmann und Frau Heinrich aus der ZEIT erwähnt; vielleicht nehme ich mir das morgen mal vor in meinem ganz persönlichen “politischen Tagebuch“. Ich freue mich, dass es gelesen wird. Dass es da auch Kritik und Streit geben wird, ist unvermeidlich. Ich hoffe, ich konnte ein paar „kritische Punkte“ im Blick auf meine Kandidatur ansprechen und aus meiner Sicht (eine andere kann es nicht sein) eben auch klären. Am Ende entscheidet der Wähler und die Wählerin. Ebene deshalb gibt es keine Alternative zur Demokratie und zum politischen Streit in der Demokratie

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