29. Juni 2020

29. Juni 2020

Gestern war es windig. Und bewölkt. Und ca. 25 Grad warm. Ideales Wetter, um sich auf dem Kirchplatz niederzulassen bei Kaffee und Kuchen. Viele Menschen aus Westerkappeln haben das getan. Der Kuchen war lecker, die Stimmung war super. Schönes Leben auf einem schönen Platz, im Schatten einer alten Kirche, die aber nachmittags noch keinen Schatten spendet, wenn die Sonne am Himmel im Süden hoch steht.

Der Sontag war wettermäßig angenehm. Der Freitag war viel zu heiß. Es war kaum auszuhalten in der Sonnte, auch wenn es windig war. Die Sonnenschirme beim Sommercafé flogen davon. Bei über 30 Grad ist das öffentliche Leben beeinträchtigt.

Die CDU war auch deshalb in den letzten 75 Jahren so erfolgreich, weil man ihr in hohem Maße Wirtschaftskompetenz zuschrieb. Und Wirtschaftswachstum bedeutete Wohlstand. Das Wohlstandsniveau 2020 ist in Deutschland hoch. Natürlich gibt es Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben, die täglich um ihre (ökonomische) Existenz kämpfen müssen. Aber es gibt auch das eine oder andere: teure Auto auf dem Hof (meistens zwei) und das eine oder andere schöne Haus und viele Menschen machen mehrmals im Jahr Urlaub.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Allen sei das alles von Herzen gegönnt. Möglich ist das alles durch eine brummende Wirtschaft. Es mehren sich aber die Problemanzeigen. Maja Göpel spricht von den „Klimakosten unseres Wohlstandes“ (75) und schreibt: „Schrumpft die Wirtschaft, verlangsamt sich der Klimawandel. Wächst die Wirtschaft, beschleunigt er sich. (..)einfacher ausgedrückt: Wirtschaftswachstum in seiner heutige Form heißt Klimawandel. Und mehr Wirtschaftswachstum heißt noch mehr Klimawandel. Darin besteht die fatale Logik unserer Zivilisation.“ (76/77)

Vergleicht man die Kurve der weltweiten Wirtschaftsleistung mit der der Erderwärmung, dann sieht man, dass sie weitgehend deckungsgleich sind und dass alle Versuche seit Mitte der 90er Jahre, das zu ändern, „nicht ausreichend waren, das Gesamtbild zu verändern. (…) ‚Ein Gespenst geht um auf der Welt – das Gespenst der Fakten‘“ (77).

Göpel kommentiert: „Das ist eine unschöne Beobachtung, der wir uns stellen müssen. Die andere ist, dass alle unsere Versuche, diesen Zusammenhang aufzulösen, bisher keinen ausreichenden Erfolg gezeigt haben“ (77), ja mehr noch; grundsätzlich zum Scheitern verurteilt sind. Denn: „Solange die Menschheit an der Vorstellung festhält, dass wirtschaftlich immer mehr produziert werden muß, wird jeder Fortschritt, den sie (…) erreicht, an einer anderen Stelle mehr als zunichte gemacht.“

Das ist das nicht aufzulösende Dilemma. Die Maßeinheit für Wirtschaftsleistung ist das Brutto-Inlands-Produkt (BIP). Robert Kennedy sagte bereits 1968 darüber: „Das Bruttoinlandsprodukt mißt alles außer dem, was das Leben lebenswert macht.“ (Göpel 80) Diese Orientierung am BIP fällt in der Bilanz verheerend aus: „Die Geschichte vom ewigen Wachstum des Konsums für alle ist nicht aufgegangen, weder ökologisch noch sozial. Schritt für Schritt ist hinter atemberaubenden Zahlen ein System entstanden, das unseren Planeten zerstört.“ (89)

Die Zerstörung wird möglich, weil ein zentraler Zusammenhang nicht sichtbar ist; die „Unterscheidung zwischen Wert und Preis“ (92) Denn der „Wert von Dingen wird durch ihren Preis auf dem Markt bestimmt und hat nichts mehr mit ihren Inhalten und Qualitäten zu tun. Der Preis ist der Wert.“ (92)

Ein Beispiel: Eine Mercedes M-Klasse oder ein Audi Q 7 oder ein BMW X7 gehören in der Autobranche zu den teuren Fahrzeugen um die 100.000 Euro. Das ist viel Geld für ein Auto. Aber ist es das wert, wenn für seine Produktion so viel Ressourcen verbraucht werden und wenn diese Autos so viel (öffentlichen) Raum beanspruchen und so viel klimaschädliche Abgase verursachen? Der Preis ist hoch, die Kosten auch. „Ich denke, dass wir viel mehr Transparenz und Aufklärung über die Zusammenhänge von Werten und Preisen brauchen.“ (94) „Spätestens, wenn dieses wertblinde Wachstumsmodell immer mehr Krisensymptome von globalem Ausmaß mit sich bringt, sollte mehr Sorgfalt in die Debatte und Suche nach Fortschritt und gutem Wirtschaften gebracht werden. Und dann fangen wir hoffentlich an, anders über unsere Begriffe und Wertvorstellungen nachzudenken. (…)  Denn mit unserer Sprache und ihren Begriffen drücken wir aus, was wir erreichen wollen und worauf wir achten.“ (95)

In diesem Kapitel über „Wachstum und Entwicklung“ (74-95) macht Maja Göpel klar, dass wir als Gesellschaft schnell umsteuern müssen, weil die exorbitanten Kosten unseres Wirtschaftssystems sich im Preis nicht niederschlagen und wir deswegen ununterbrochen Werte vernichten wie „die Natur“, von der wir leben. Anders formuliert: Die Art, wie wir leben, ist selbstmörderisch. Das ist nicht besonders zukunftsfähig.

Deswegen ist das Zitat am Anfang des Kapitels wegweisend: „Die Welt ist mit drei existentiellen Krisen konfrontiert: die Klimakrise, die Ungleichheitskrise und eine Krise der Demokratie,“ (Joseph Steglitz), Wie wir die Klimakrise meistern, davon hängt das Leben der Menschheit ab. Wie wir die Ungleichheitskrise bewältigen, davon hängt der soziale Frieden ab. Und wie wir uns politisch einbringen, welche Nachrichten wir hören, welchen Theorien wir folgen (oder Verschwörungstheorien) anhängen, davon hängt unsere Demokratie und unser Wohlergehen ab. Wir sollten uns in allen drei Bereichen engagieren, wenn unsere Welt ein Ort des Wohlergehens bleiben soll. (Für viele Menschen ist die Welt schon lange kein solcher Ort mehr, auch durch unsere Schuld).

Womit wir wieder beim Wetter wären. Und auf dem Kirchplatz in Westerkappeln. Bei 25 Grad läßt es sich da gut aushalten und die Stimmung ist gut. Bei 35 Grad geht es nicht mehr und der öffentliche Platz ist tot. Wohl dem, der zu Haue dann eine Klimaanlage hat, die viel Energie zieht…, die…

Mein politisches Credo lautet daher: Laßt uns anfangen, was zu ändern! In unserem Denken und Verhalten. Damit wir nicht die Grundlagen des Lebens verheizen. Maja Göpel nennt es: „unsere Welt neu denken“. Sie redet von einer „Einladung“. Diese Freundlichkeit bei gleichzeitiger Klarheit der Gedanken und des Ausmaßes an Krisenbewußtsein finde ich faszinierend. Ich fürchte, ich bin da weniger gelassen. Wenn es aber darum geht, bei 25 Grad, leichtem Wind und schönen Wolken am Himmel Kaffee auszuschenken aus fairen Handel und in Bioqualität, dann – so sagen mir Menschen, die das sehen – sei ich sehr freundlich.

Das besondere Zitat:

„Schrumpft die Wirtschaft, verlangsamt sich der Klimawandel. Wächst die Wirtschaft, beschleunigt er sich. (..)einfacher ausgedrückt: Wirtschaftswachstum in seiner heutige Form heißt Klimawandel. Und mehr Wirtschaftswachstum heißt noch mehr Klimawandel. Darin besteht die fatale Logik unserer Zivilisation.“

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