13. Juni 2020

13. Juni

Der WDR gibt allen Kandidatinnen und Kandidaten für das Bürgermeisteramt in NRW die Möglichkeit, sich in einem Video vorzustellen. Dabei sollen drei Fragen beantwortet werden: die erste betrifft Corona und lautet: – Was hat Ihnen die Corona-Krise gezeigt, was wollen Sie vor Ort ändern?

Bevor ich das in einem Video beantworte, hier ein paar Überlegungen dazu. Corona hat zunächst einmal gezeigt, wie sehr die Welt von heute verflochten ist. Wenn in Wuhan in China beim Kauf eines Wildtieres auf einem Markt das Coronavirus sich auf seinen neuen menschlichen Wirt überträgt, dann hat das nach einigen Wochen durch die internationale Verflechtung und entsprechende Möglichkeiten globaler Verbreitung innerhalb weniger Wochen auch Auswirkungen auf Deutschland und das Leben in Westerkappeln.

In einer globalisierten Welt hängt alles mit allem zusammen, im Guten wie im Bösen, das kann man nun klar sehen.

Das hat sich auch an den sogenannten Lieferketten gezeigt. Die sog. „lock-downs“ fanden in den verschiedenen Ländern je nach Gefahrenlage zeitversetzt statt und führten zu Lieferengpässen, da Medikamente, Technikteile und Autoteile z.B. aus aller Welt importiert werden. Wir haben durch Corona gemerkt, wie sehr wir alle miteinander verflochten und voneinander abhängig sind. Außerdem wurde deutlich, wie verwundbar die Menschheit ist in allen ihren Systemen: den sozialen Systemen, den wirtschaftlichen und dem Gesundheitssystem.

Darüber hinaus hatte die Coronakrise paradoxe Auswirkungen: das Leben wurde für ein paar Wochen gleichsam still gelegt. Es gab keine Flugzeuge am Himmel und kaum Autos auf den Straßen auf dem Weg in die Stadt. Tatsächlich wurde der Himmel wieder blauer als je zuvor. Und die Klimaziele für 2020 konnten erreichbar werden, weil die Co 2-Emissionen aufgrund der runtergefahrenen Wirtschaft und des fehlenden Flug- und Autoverkehrs drastisch sanken. Corona hat Schwachstellen aufgezeigt z.B. im Bildungswesen; das „homeschooling“, das Lernen zu Hause mit Hilfe digitaler Kommunikation hat ärmere Familien deutlich stärker belastet und hat Schülerinnen und Schüler z.B. durch fehlende PCs benachteiligt.

Politisch hat eine Gruppe von Wissenschaftlern der Leopoldina die Coronakrise als einen Weckruf gedeutet, als eine Krise, der weitere Krisen folgen werden, von denen die schlimmste die Klimakrise sein wird. Wir sind als Grüne im Wahlprogramm im Vorwort darauf eingegangen.

Da ich als politischer Akteur durch meine Kandidatur dennoch Pastor und Christ bleibe, will ich mich auch vor einer theologischen Bewertung nicht drücken. In der biblischen Prophetie gibt es das Phänomen, dass Propheten zur Umkehr rufen. In Hesekiel 33 ist in V. 11 zu lesen: „Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe – Ausspruch des/der Ewigen, mächtig über allen – mir liegt nichts am Tod des ungerechten Menschen, sondern daran, dass sich ein ungerechter Mensch von der bisherigen Lebensweise abwendet und lebendig bleibt. Kehrt um, wendet euch ab von eurer unheilvollen Lebensweise! Warum wollt ihr zugrunde gehen?“ Da diese Sätze in den heiligen Schriften Israels stehen, gelten sie zuerst dem Haus Israel im 7. und 6. Jh vor Christus. Da wir diese Schriften als „Altes Testament in unserer Bibel haben, lesen wir sie auch – und auch uns gehen sie nun an. Angesprochen ist nicht mehr „das Haus Israel“, sondern die ganze Menschheit – vor allem auf der nördlichen Halbkugel.  „Kehrt um, so werdet ihr leben!“ So heißt es auch in Ezechiel 18,23. –

Die Propheten Israels wissen bestimmte historische Phänomene als Zeichen zu deuten und nehmen sie – parallel zur politischen Interpretation als Weckruf – als Warnung ernst. Sie leiten daraus die Aufgabe der Umkehr ab. Wenn solch eine Umkehr ausbleibt, wird das für die Zukunft dramatische und katastrophale Folgen haben.

Für uns im Jahre 2020 ist hier sicherlich die Erderwärmung das entscheidende Problem. Wenn wir als Gesellschaft nicht schnell umsteuern, dann wird es immer öfter katastrophale Krisensymptome geben. Es werden sehr viel mehr Menschen sterben als an Corona, da Hitzewellen die Gesundheit von Menschen belastet und die Anzahl der Risikopatienten, die Herz- und Kreislauf-Probleme bekommen werden, zunimmt. Auch die zunehmenden Dürren werden zum Problem für die Lebensmittelversorgung. Wie bei Corona werden auch zukünftige Krisen zuerst und besonders schlimm ärmere Menschen treffen.

Durch Zufall stieß ich auf einen Brief von Antje Vollmer. Sie ist Pastorin und eine Grüne der ersten Stunde. Sie erinnert an den längst verstorbenen Berliner Bischof Kurt Scharf. Antje Volmer schreibt:

„Der hat einmal – ich habe es selbst gehört – in einem Gespräch gesagt: «Manchmal schickt Gott uns offenbar maßvolle Katastrophen.»

Lassen wir Gott als Verursacher einmal für diesen Gedanken­schritt beiseite, es geht mir nicht um dieses Denkmodell, das immer so viele Probleme macht.

Aber maßvolle Katastrophen – der Begriff hat mich immer wieder beschäftigt. Ein spröder Begriff, über den sich nachzudenken lohnt. Eine maßvolle Katastrophe ist offenbar keine Apokalypse, kein Weltuntergang. Es ist eine Katastrophe, die ein Danach immer noch möglich lässt. Eine Katastrophe, aus der ich etwas lernen kann. Wenn ich denn die Chance ergreife, überhaupt etwas lernen zu wollen. Wenn ich offen genug bin für die Frage: Hat das, was jetzt geschieht, uns etwas zu sagen?

Das ist es, worüber ich zurzeit nachgrüble. Wie bereiten wir uns – in Sanftmut und Unerschrockenheit – auf jenes Momentum vor, wenn die grössten Schrecken der augenblicklichen Katastrophe vorüber­gegangen sind, wenn das Leben einen Augenblick verharrt?

Wird die Weltgemeinschaft eine andere Wegrichtung einschlagen, wird dann «nichts mehr so sein, wie es war», wie alle jetzt eilfertig behaupten? Oder wird sich das dominante westliche Lebens­modell dann nur noch mehr beschleunigen in der alten katastrophalen Entwicklung des gewalt- und machtgesteuerten Anthropozäns, des «letzten Erdzeitalters», wie Du schreibst, mit seinen ungebrochenen Allmachts­fantasien? Mir scheint, das ist durchaus offen, unentschieden bis jetzt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob unsere Kraft, auch das intellektuelle, strategische und humanitäre Vermögen, ausreicht, die Entwicklung im entscheidenden Moment danach in die richtige Richtung zu bewegen.“

So weit Antje Vollmer. Ich bin mir sicher, dass wir alle unsere Kraft und unser Vernunft-Vermögen aufbieten müssen, um als Menschheit eine andere Richtung einzuschlagen. Und „Umkehr“ fängt bei jedem persönlich an und geht dann weiter ins Politische.

Auch deshalb habe ich mich, – nachdem ich persönlich seit Jahrzehnten anders zu leben versuche, – für eine deutlich stärkere politische Einmischung entschieden und mich zur Kandidatur für die Grünen bereit erklärt. Die Diagnose der Probleme unsere Zeit sind von CDU, SPD und Grünen ähnlich. Die Therapievorschläge aber unterschieden sich deutlich. Die Grünen sagen: Es kann kein „weiter so“ geben. Wir müssen unseren Lebensstil überdenken und ändern.

Für die Verhältnisse vor Ort bedeutet das, dass wir die lokale und regionale Wirtschaft stärken müssen. Es sollten regionale Lieferketten existieren, die robust genug sind, Krisen zu bestehen. Ein wichtiger Aspekt sind regionale Wertschöpfungsketten. Der Arbeitsmarkt sollte deutlich der Daseinsvorsorge im Nahbereich dienen. Wichtige Artikel sollten möglichst ortsnah hergestellt werden und internationale Lieferwege reduziert werden. Das spart Kosten und nutzt der Umwelt. Überhaupt müssen Preise für Waren wahrhaftiger werden. Die Umwelt- und die Sozialkosten (soganannte externe Kosten, die unsichtbar bleiben) müßten in den Preis eingehen und darin abgebildet werden. Das würde unser Kaufverhalten ändern und eine Wegwerf-Mentalität einschränken. – Die Globalisierung wird nicht rückgängig zu machen sein und Deutschland wird immer vom Export leben. Neben dem Export aber sollte ein stärkeres Augenmerk auf regionale Produktion, Lieferketten und Wertschöpfung gelegt werden.

Tatsächlich verdankt sich das Projekt Eden 2020 solchen Erkenntnissen. Die Idee zu diesem Projekt entstand im Jahr 2019 und hatte nichts mit Corona zu tun. Ich hatte auch nicht im Entferntesten vor, mich deutlicher politisch zu positionieren. Und bei dem Projekt machen auch Menschen aus allen Parteien mit. Es darf und soll also auf keinen Weg parteipolitisch instrumentalisiert werden.

Deshalb habe ich auch lange überlegt, ob ich den Schritt ins Politische vollziehe. Andererseits ist es eine schlichte Tatsache: Die Art, wie wir einkaufen, was wir essen und wie wir das Essen produzieren, wie wir uns bewegen und wohin wir reisen, das alles hat ökologische und ökonomische und soziale Folgen, ist also politisch.

Was unsere Vorstellung als Grüne und meine als grüner Kandidat sind, findet sich tatsächlich im Wahlprogramm 2020 wieder.

Michael Kopatz schreibt in seinem Geleitwort zur Ökoroutine: „Leider zählt es zu den unangenehmen Wahrheiten, dass es kaum noch neue Lösungskonzepte gibt. Doch bei der nachhaltigen Entwicklung geht es genaugenommen auch nicht um die bahnbrechende Entdeckung einer Patentlösung, denn eigentlich wurde schon alles gesagt – aber sehr vieles noch nicht getan.“

Was ich in Westerkappeln tun möchte: für Einkaufen vor Ort werben, nachhaltige Bio-Lebensmittel, möglich wenig verpackt in den Einkaufswagen legen, möglichst regional produziert. Ich möchte für den Radverkehr werben als eine kosten- und umweltverträgliche Fortbewegungsart, die auch noch der Gesundheit und dem Wohlbefindet dient.

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