18. Juni 2020

Das war heute ja mal eine spannende öffentliche Ratssitzung! Kurz, aber knackig. Von 18 bis 18,50 Uhr war der öffentliche Teil. Vieles war reine Formsache und ging ohne weitere Wortmeldungen schnell und einstimmig durch. Dann aber ging es um den Nachtragshaushalt.

Zur Erinnerung: Am 10. März hatte der Rat zugestimmt, Flächen in Velpe zu erwerben, die man Landwirten zum Tausch anbieten könnte, wenn sie Land abgeben, das als Gewerbefläche oder Wohngebiet entwickelt werden kann. Damit dieser Beschluß aber realisiert werden kann, bedarf es eines Nachtragshaushaltes, der die ca. 2 Millionen Euro für den Erwerb der 19 Hektar zur Verfügung stellt. Seit März wurde nun um diese Fläche zum Tausch gerungen, auch im Haushalts- und Finanzausschuß. Da hatte sich am 10. Juni die SPD in dieser Frage Bedenkzeit ausgebeten. Die CDU war einverstanden.

Heute dann erklärte Fraktionsvorsitzender Frank Sundermann, dass es in der Politik um Vertrauen und Verantwortung gehe. Da er die Gespräche nicht geführt habe, müsse und wolle er der Bürgermeisterin vertrauen, die den Sachstand berichtet und die Gespräche geführt habe. Er gehe davon aus, dass alle Personen und Parteien im Rat nur das Beste für die Heimatgemeinde wollen. Und da die SPD seit 2014 immer wieder anmahne und kritisiere, dass es keine Gewerbeflächen in Westerkappeln gebe, habe man sich aus Verantwortung für die zukünftige Entwicklung Westerkappelns dazu entschlossen, dem Nachtragshaushalt und damit dem Erwerb der Flächen zuzustimmen. Man wolle diese Zukunftsfrage nicht mit Populismus versehen und auch nicht für den Wahlkampf mißbrauchen, sondern pragmatisch zum Wohle Westerkappelns entscheiden. Gleichwohl ist sei bedauerlich, dass seit 2014 in dieser Frage nichts passiert sei – bis zum Frühjahr 2020.

Danach erläuterte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Martin Laumann-Stening die Position der Grünen. Er bemerkte zunächst, dass er erwartet habe, dass die SPD so abstimme. Denn es sei ja tatsächlich schwierig, jahrelang fehlende Gewerbegebiete anzumerken und dann, wenn es sie geben könnte, dagegen zu sein. Die Grünen haben es hier leichter, weil sie nicht dieses Konzept von Entwicklung und des „immer weiter so“ vertreten. „Wozu entwickeln“ fragte also einmal mehr Martin Laumann-Stening: Wohin soll sich Westerkappeln entwickeln? Wachstum um jeden Preis, damit unter Umständen sozial prekäre und ökologisch fragwürdige Arbeitsplätze entstehen, wo nur wenige Westerkappelner arbeiten?  Man könnte zustimmen, wenn ein Konzept da wäre, dass man für bestimmte Unternehmen Flächen bereit halten wolle, weil hier qualitativ hochwertige Arbeitsplätze entstehen. Das aber sei nicht sicher. Sicher sei dagegen, dass bei der Ausweisung neuer Gewerbegebiete viel Fläche versiegelt wird. Ein zweites Argument sei, dass einige Hundertausend Euro als „Nebenkosten“ anfallen, die nicht als Investition und nicht als Anlagevermögen verbucht werden können. Dieses Geld fehle bei anderen wichtigen Themen, wie z.B. der Sanierung des Freibades.

„Zu kurz gedacht“ antwortete Annette Große-Heitmeyer. Die Grünen verwiesen ja gern auf sinnvolle Projekte wie Freibad oder auch (heute mal nicht genannt) das Jugendzentrum. Diese Projekte ließen sich aber nur mit Steuern finanzieren, die Gewerbeflächen und Arbeitsplätze einbringen müßten, zumal sich bestimmte Zuweisungen danach richteten. Auch die Einwohnerzahl und neue Baugebiete seien dafür wichtig.

Am Ende wurde der Nachtragshaushalt bei den zwei Gegenstimmen der Grünen ohne weitere Enthaltung in einer großen pragmatischen Koalition von CDU und SPD und Bürgergemeinschaft beschlossen.

Hier zeigt sich, dass die Grünen als einzige Partei im Rat hier eine alternative Position beziehen. Unserer Überzeugung nach ist es ganz und gar nicht „zu kurz gedacht“, wenn man soziale und wirtschaftliche Entwicklung als ein inhaltliches Gesamtprojekt denkt, das aus einer fatalen Logik aussteigen muß. Die Logik (der vergangenen Jahrzehnte) besagt, etwas vereinfacht: Wir müssen Flächen versiegeln und Umwelt zerstören durch Ansiedelung von Gewerbe und Ausweisung von Wohngebieten , um wirtschaftliche Kraft zu entwickeln, die soziale Leistungen zu finanzieren erlaubt. Diese Logik, so selbstverständlich  und verbreitet sie immer noch ist, übersieht die Folgen: dass de facto immer mehr die Lebensgrundlagen beeinträchtigt und zerstört werden. Eine ökologisch intakte Natur und eine funktionierende Umwelt sind die Rahmenbedingungen, die zu erhalten „nicht kurz gedacht“ ist, sondern wahrhaftig weitblickend, vorausschauend und zukunftsweisend sind. Dies gilt um so mehr, da Westerkappeln – wie die Bürgermeisterin eingangs sagte, von Naturschutzgebieten umgeben sei.

Und auch in Zeiten des Wahlkampfes muß es erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass diese Position einzig von den Grünen vertreten wird, was sich in den Abstimmungsergebnissen widerspiegelt. Man könnte meinen: die Grünen sind immer dagegen. Zur Verantwortung nach grüner Überzeugung gehört es aber, gerade nicht „kurz(fristig)  zu denken“ und entsprechende politische Beschlüsse zu fasen. Deswegen ist die Position des „Dagegen“ in diesem Falle eine des „Dafür“. Wir wollen und können nicht so weitermachen wie bisher.

Genau das ist die Überzeugung der grünen Landratskandidatin Birgit Neyer, die als Verantwortliche der Wirtschaftsföderung im Kreis ST kaum in Verdacht steht, wirtschaftsfeindlich zu agieren.

Schließlich wurde es noch einmal emotional. Die Bürgermeisterin gab ihrem Ärger Ausdruck über einen Zeitungsartikel, der die (möglichen) Kosten für den Neubau des Feuerwehrhauses enthielt. Diese Info und die entsprechende Zahl müsse durch ein Ratsmitglied aus nicht-öffentlicher Sitzung an die Presse gegeben worden sein. Dies sei weder Ausdruck von Verantwortung noch trage es zum Vertrauen bei, wenn man damit rechnen müsse, dass Transparenz in nichtöffentlicher Sitzung dazu führe, dass die Öffentlichkeit davon erfährt. Die Bürgermeisterin sagte, dass die Ratsmitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet seien, dass sie sich rechtliche Schritte vorbehalte und dass solche Aktionen dem Ansehen der Politik und der Verwaltung schaden. Außerdem würde so auf dem Rücken der Feuerwehr Politik zu machen versucht, was das Schlimmste sei. Daraufhin erhob sich ein SPD-Ratsherr und sagte, es sei unerträglich, dass der Rat hier unter Generalverdacht gestellt werde.

Das alles trug sich so – so habe ich es jedenfalls gehört und gesehen – in öffentlicher Sitzung zu, innerhalb von gut 45 Minuten. Natürlich wirft hier der Wahlkampf seine Schatten voraus. Aber im Wort Wahlkampf stecken nun mal die beiden Komponenten „Wahl“ und „Kampf“. So muß und darf im Vorfeld einer Wahl auch gekämpft werden. Dass es dabei fair zugehen sollte, ist klar. Dass es aber auch mal zu scharfen Auseinandersetzungen kommt und zu Angriffen und polemischen Zuspitzungen, ist auch klar,

Wenn das in der Öffentlichkeit dazu führt, dass die Bürgerinnen und Wähler wahrnehmen, dass nicht alle Parteien dasselbe vertreten, sondern dass man wirklich Positionen erkennen und dann entsprechend wählen kann, dann ist das ein Gewinn für die Demokratie. Ich habe die heutige Ratssitzung so erlebt. Deshalb mein Dank an alle im Rat vertretenen Parteien und Personen, die sich alle für Westerkappeln engagieren!

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