19. Juni 2020 19. Juni 202019. Juni 2020 Noch einmal zu gestern Abend: Zur Logik, die hinter der Mehrheitsentscheidung des Rates liegt, dem Nachtragshaushalt (zur Finanzierung von landwirtschaftlichen Flächen im Tausch mit Gewerbeflächen) zuzustimmen, damit Westerkappeln „sich entwickeln“ kann, ein paar Gedanken von Maja Göpel („Unsere Welt neu denken“, Berlin 2020). Sie fragt als politische Ökonomin und Gesellschaftswissenschaftlerin, warum „die Ideen, die sich in den letzten 250 Jahren in diesen Theorien (über Wirtschaft und Gesellschaft) verstetigt haben, heute nicht unbedingt hilfreich (sind), um aus der Krise unserer Ökosysteme und Gesellschaften eine Chance für die Zukunft zu machen“ (16). Sie verweist darauf, dass nach 2 Jahrhunderten der Gewohnheit es sich so anfühlt, „als habe sich unser Wirtschaftssystem ganz natürlich entwickelt, etwa wie sich einst Flauna und Flora ganz ohne unser Zutun entwickelt haben“ (16). Aber so ist es nicht, weil die Ökonomie ein System ist, das Menschen gemacht haben. „Es sind unsere selbst gemachten Regeln, aus denen die Welt, die wir kennen, besteht. Wenn wir also verstehen wollen, wie es passieren konnte, dass die Menschheit den Planeten (…) in der Lebensspanne zweier Generationen an den Rand des Kollaps gebracht hat, müssen wir uns diese Ideen, Strukturen und Regeln“, die hinter dem System stehen, bewußt machen. (17) Und bewußt machen bedeutet: „zu erkennen, was man tut, und zu fragen, warum man es tut.“ (17). Genau diese Einsicht stand hinter der Frage der Grünen gestern im Rat: „Wozu“? Die Ablehnung des Antrages auf Flächentausch zur Gewinnung neuer Verbrauchsflächen, die von Annette Große- Heitmeyer als „zu kurz gedacht“ erkannt wurde, ist das genaue Gegenteil. Die Idee hinter der Ablehnung ist, die „neue Realität“ (23ff) anzuerkennen, in der wir leben. Anerkennen, was Realität ist, heißt zu erkennen: „Das, was wir modernen Fortschritt nennen, ist im Prinzip nichts anderes als Ausbreiten und Ausbeuten, Expandieren und Extrahieren“. (29) In einer Welt, die riesig ist und unendlich in ihren Ressourcen erscheint, kann man das machen. Aber die Welt hat sich verändert, die Realität ist anders. „Wir wirtschaften nicht mehr in einer ‚leeren‘, sondern in einer ‚vollen Welt‘. (…) Das ist nichts weniger als eine neue Realität. Das bedeutet, dass sich die Koordinaten, in denen sich menschliches Zusammenleben und erfolgreiches Wirtschaften vollziehen, grundsätzlich verschoben haben. Expansion und Extraktion (ausbreiten und ausbeuten) finden ein natürliches Ende“ (30), das begründet ist in den „planetaren Grenzen“, also in dem Wissen um die Begrenztheit und Endlichkeit unseres Planeten. „Wer in der Realität – und noch dazu in einer sich gerade radikal verändernden – leben will, muß sie anerkennen, sonst lebt er oder sie in einer Scheinwelt.“ (30) Jedoch herrscht an diesem Punkt bei vielen eine „Realitätsverweigerung“ vor, oft ausgerechnet bei jenen, die sich immer für „realistisch“ gehalten haben, die Wirtschaftsexperten und diejenigen, die ihnen politisch folgen, klassischerweise in der CDU und FDP, aber auch in der SPD. Deshalb gestern in der Ratssitzung dieser Beschluß mit großer Mehrheit. Es ist die Logik: Ausbreitung (neue Gewerbeflächen oder Wohngebiete) sichern den Wohlstand. So war es jahrzehntelang. Neu ist, dass diese Logik erkennbar und zunehmend die Grundlagen des Lebens zerstört und also die Chancen des künftigen Wohlergehens beeinträchtigt. So kommt es zu dem Paradox, dass das, was wir wissen, als“ zu kurz gedacht“ erscheint. „Wir reden von planetaren Grenzen, aber die meisten Lösungsvorschläge drücken sich darum, wirklich anzuerkennen, was das heißt. Achten Sie mal darauf: Irgendwo kommt meist immer noch mehr Wachstum und Wohlstand her – auch wenn sehr selten benannt wird, woher und zu welchem Preis.“ (31). Die „Preisfrage“ haben wir Grünen gestern gestellt, als unser Fraktionsvorsitzende fragte: „Wozu?“ Uns fehlen konkrete Angaben dazu, wie hoch der Preis ist für eine weitere Ausbreitung und der Verbrauch von Flächen. Wo also stehen wir 2020? Die These von Maja Göpel, der ich mich anschließe, lautet: „dass wir uns geweigert haben, die neue Realität wirklich anzusehen. Wir haben uns bald fünfzig Jahre in einer Scheinrealität eingerichtet, in der wir statt physikalischer und biologischer“ Einsichten lieber wirtschaftlichen Interessen gefolgt sind. (36) Die Grünen wollen sich der „neuen Realität“ nicht verweigern und verweigern gerade deshalb ihre Zustimmung zu Strategien, die nicht mehr realistisch sind und schon gar nicht zukunftsweisend. Deshalb findet im Rat immer wieder das etwas deprimierend Szenario statt, dass die Grünen die einzigen sind, die „dagegen“ stimmen. Zur fairen Wahrnehmung gehört: Faktisch stimmen sie dafür ab, dass Westerkappeln eine lebenswerte Zukunft erhält, nach dem Stand neuer Einsichten und Forschungsergebnisse. Denn klar ist angesichts der Problemlage: Ein einfaches „weiter so“ kann es nicht geben. Im Wahlkampf geht es auch um den Kampf um Ideen für eine lebenswerte Zukunft unserer Heimatregion. Und da haben wir Grüne eine echte und darüber hinaus realistische Perspektive und Programmatik anzubieten!