1. Juli 2020 2. Juli 20208. Juli 2020 „Uns geht der Planet aus“. Unter dieser Überschrift verweist Tim Jackson auf den Bericht des Stockholm Resilience Centre, der 2015 erschien. Dieser Bericht spricht von ‚planetaren Grenzen‘ und untersucht, „wie nahe wir neun ‚kritischen physikalischen Grenzen‘ bereits gekommen sind.“ Hinter den etwas komplizierten Formulierungen steht eine einfache Erkenntnis: Die Erde ist begrenzt. Fridays for future hat das auf die einfache Formel gebracht; „Es gibt keine zweite Erde“ (There is no planet B). Der Bericht stellt fest: „Diese Grenzen zu überschreiten (…) würde nicht hinnehmbare Umweltveränderungen mit ‚ernsthaften, potentiell katastrophalen Konsequenzen für die Gesellschaft‘ bedeuten.“ (54) Das nächste Kapitel heißt „Jenseits der Grenzen“ (S. 58) und stellt fest: „Das vorherrschende Wirtschaftsmodell beruht auf einer stetigen exponentiellen Ausdehnung des Umfangs der Wirtschaft. (…) Diese außerordentliche Steigerung globaler Wirtschaftsleistung (nach dem 2. Weltkrieg) ist ohne historisches Beispiel. Sie steht in vollkommenen Widerspruch zu der endlichen Ressourcenbasis und der fragilen (zerbrechlichen, gefähdeten) Ökologie, von der unser Überleben abhängt. Und sie geht schon jetzt einher mit einer Verschlechterung von geschätzten 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme.“ (58) Die Idee hinter der modernen Wirtschaft ist, dass sie strukturell auf Wachstum angewiesen ist, wenn sie stabil bleiben will. Deshalb muß z.B. Westerkappeln neue Gewerbe- und Wohngebiete ausweisen, wenn der Wohlstand erhalten bleiben soll. Und das, was für Westerkappeln im Kleinen gilt, gilt auch im Großen. Wir müssen uns ausweiten – auf einer Erde, die begrenzt ist. Aber kann das gehen? – Die Antwort auf diese Frage ist eine der Logik. Und sie lautet: Es kann nicht gehen. Ich bekomme in einen Eimer, der 5 Liter Wasser fassen kann, keine 10 Liter hineingefüllt. Die Begrenzung der Kapazität des Eimers auf 5 Liter verbietet es, 10 Liter einfüllen zu können. Die Grenzen des Planeten Erde verbietet es, ein grenzenloses Wachstum hinzubekommen. Andererseits, und das ist die Dramatik unserer Situation in Gesellschaft und Politik: „Wenn das Wachstum schwächelt, dann geraten Politiker in Panik. Unternehmen kämpfen ums Überleben. Menschen verlieren ihre Arbeit, manchmal auch ihr Zuhause.“ (59). Das alles wünscht sich keiner, denn es macht Menschen Angst und es bedroht unseren Wohlstand. Deswegen schreibt Jackson: „Wachstum in Frage zu stellen, gilt als Akt von Wahnsinnigen, Idealisten und Umstürzlern. Und trotzdem müssen wir es hinterfragen. Die Vorstellung einer nicht wachsenden Wirtschaft mag für Ökonomen ein Gräuel sein. Den Ökologen graust es jedoch bei der Vorstellung einer ständig wachsenden Wirtschaft. Rein physisch kann kein Subsystem eines endlichen Systems unendlich wachsen. Die Ökonomen müssen in der Lage sein, die Frage zu beantworten, wie eine ständig wachsende Wirtschaft in ein endliches Ökosystem hineinpassen soll.“ (59) Auf diese entscheidende Frage haben Ökonomen keine Antwort. Genauer: Sie fürchten die Antwort, weil sie lautet: Es geht nicht. Und die Konsequenz ist: Wir können nicht so weiter leben wie bisher. Diese Lebensweise bedroht jetzt schon deutlich unser Leben und am Ende zerstört sie das Leben. Jackson schreibt: „Unter diesen Umständen kann man nicht so weitermachen wie bisher.“ (60) So sieht Jackson gleichwohl die Chance, „das kurzfristige Denken, das die Gesellschaft über Jahrzehnte besetzt gehalten hat, wegzufegen. Dieses Denken zu ersetzen durch eine wohlüberlegte Politik, die den enormen Herausforderungen, bleibenden Wohlstand zu sichern, tatsächlich gewachsen ist.“ Tatsächlich wird hier sehr grundsätzlich grüne Programmatik umrissen. Aber klar ist eben auch: Es geht um eine echte Veränderung und Erneuerung des Denkens und des Verhaltens von einzelnen Menschen – also von mir! – als Autofahrerin, Flugreisender, Urlauber, Verbraucherin, Konsumenten und von ganzen Systemen wie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Insofern ist die ganze große Politik immer auch in Westerkappeln von Bedeutung. Kann aber kommunale Politik hier was ausrichten? Diese Frage treibt mich um! Ich glaube, sie muß Räume schaffen für die ehrliche Diskussion dieser Fragen und für eine entsprechende Bewußtseinsbildung. Ich sag’s jetzt ausnahmsweise mal mit facebook: Der Schluß des Kapitels gefällt mir, vielleicht auch, weil er mich an prophetische Predigt erinnert. Es ist daher auch „das besondere Zitat“ für heute, wo Deutschland den EU-Ratsvorsitz übernimmt und die Möglichkeit hat, Politik auf höchster Ebene mitzugestalten. Am „Ende des Tages ist Wohlstand mehr als materieller Genuß. Er geht über materielle Interessen hin aus. Wohlstand ist tief in der Lebensqualität, der Gesundheit und dem Glück der Familien verankert. Er zeigt sich in der Stärke der Beziehungen und im Vertrauen in die Gemeinschaft. Er äußert sich in Zufriedenheit bei der Arbeit und in dem Bewußtsein, dass wir Werte und Ziele teilen. Er beruht auf der Möglichkeit, voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wohlstand bedeutet, dass wir fähig sind, uns als menschliche Wesen zu entwickeln und ein gutes Leben zu führen – und das alles innerhalb der Grenzen eines endlichen Planeten. Die Herausforderung für unsere Gesellschaft besteht darin, Bedingungen zu schaffen, die dies möglich machen. Das ist die vordringlichste Aufgabe unserer Zeit.“ (aus Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum. Grundlagen für eine zukunftsfähige Wirtschaft, München 2017)