12. September zum Zweiten

12. September zum Zweiten

Ehrlich gesagt: Ich konnte es kaum glauben, was meine Augen da am Schulzentrum sahen. Ich dachte, ich hätte mich versehen, was ich da am frühen Morgen las.

Aber als ich nachmittags mit dem Rad aus Büren vom Konfirmanden-Unterricht kam, konnte ich es in Ruhe nachlesen: „jung, erfahren, kompetent, bürgernah“, stand da in orange auf dem Plakat mit dem Kopf und Namen von Annette Große-Heitmeyer.

Jetzt wird am letzten Tag vor der Wahl doch noch etwas offenbar, das man zu meinen Schwächen zählen könnte (ich habe das aber der IVZ nicht anvertraut):

Dass ich mit Unwahrheiten nicht gut leben kann. Wenn sie mir begegnen, reagiere ich, – vielleicht reagiere ich auch über. Aber dann packt mich der Zorn, wenn offen und öffentlich gelogen wird, und deshalb muß ich – zum ersten Mal – einen zweiten Eintrag machen an einem Tag in mein politisches Tagebuch. Frei nach Luther: Hier schreibe ich, ich kann nicht anders – egal, was dadurch und danach passiert.

Worüber habe ich mich geärgert? –

Über das, was da in den letzten Tagen geklebt worden sein muß. Dass die Bürgemeisterin nach 6 Jahren im Amt erfahren ist: mag sein! Dass sie kompetent ist: Kann ich nicht beurteilen, kann aber sein. Dass sie bürgernah ist: die Runden mit dem Eisfahrrad haben das gezeigt.

Aber was ist mit jung?

Eine Frau, die Mitte vierzig ist, ist nicht mehr jung. Gewiß, sie ist jung im Vergleich zu anderen – zum Beispiel im Vergleich zu mir. Ich bin 55 Jahre alt und bin also, im Vergleich zur 45jährigen – 10 Jahre älter und also nicht mehr jung.

Und dennoch: Jung ist man bis Mitte Zwanzig nach allgemeinem Sprachgebrauch – vielleicht bis zum 30. Geburtstag. Danach ist man nicht mehr „jung“, sondern vielleicht jung geblieben und im Vergleich zu anderen jung. Dass Annette Große-Heitmeyer, von der ich gar nicht weiß, wie alt sie genau ist (ich glaubte, ich hätte 47 gelesen), nicht jung ist, scheint mir aber offensichtlich. Und deshalb ist das erste Wort auf dem Plakat offen und öffentlich gelogen. Und damit kann ich nicht gut umgehen.

Wie gesagt: Ich bin älter, aber als Älterer frage ich mich: Was ist „Jungsein“ für ein Argument im Wahlkampf um Wählerstimmen? Und nun kommt noch etwas Schlimmeres: Ich bin alt genug, um schon mal von einer „Hermeneutik des Verdachts“ gehört zu haben.

Und nun drängt sich mir ein schlimmer Verdacht auf: Die Bürgermeisterin zielt gar nicht auf mich mit meinen 55 Jahren, sondern auf einen anderen Kandidaten, der bald 65 Jahre alt wird. Es wird ja zum Teil geredet in Kappeln, und das kriege ich auch mit. Es gibt Menschen, die finden, dass Winfried Raddatz zu alt sei für das Bürgermeisteramt. – Ich finde das nicht! Und es wundert mich, dass ausgerechnet Christdemokraten es zulassen, diese Ebene in den Wahlkampf einzuspielen.

Ich habe mir das bis heute wirklich nicht vorstellen können, dass Christdemokraten sich an der Verachtung des Alters und der Alten beteiligen. Einen grünen Bürgermeister in Westerkappeln konnte ich mir schon irgendwie denken, aber das nicht.

Und ich kann schon hier öffentlich feststellen: Ich werde mich an der Diffamierung des Alters und der Alten nicht beteiligen. Ich hoffe, dass die Bürgermeisterin und die Christdemoktraten nicht wußten, was sie taten, als sie das Stichwort „jung“ in diesem Wahlkampf auf den Plakaten als erstes klebten. Ich hoffe also inständig, dass mein Verdacht nicht stimmt. Ich halte auch die Unschuldsvermutung hoch und gehe davon aus, dass das so nicht intendiert war.

Wenn es keine Absicht war, das Alter so als erstes in den Vordergrund zu stellen, noch vor Kompetenz und Bürgernähe, dann ist ein Fehler passiert. Das kann immer passieren. Dafür habe ich vollstes Verständnis!

Wenn es aber bewußt geschah, um ältere Kandidaten in weniger geeignetem Licht für das zur Wahl stehende Amt erscheinen zu lassen – wegen ihres Alters – dann ist das ein Desaster, nicht nur für die Bürgermeisterin und die CDU, sondern gesamtgesellschaftlich.

Für mich ist der andere Aspekt der Schlimmste: dass es einfach nicht stimmt. Mit Mitte 40 ist ein Mensch nicht mehr jung. Und wie gesagt: Bei der offenen und öffentlichen Kundmachung von Unwahrheiten werde ich sauer und wütend. Da reagiere ich scharf, vielleicht auch über.

Deswegen bin ich fassungslos, wenn ich feststellen muß: was da in den letzten Tagen plakatiert worden ist, ist de facto gelogen.

Mir tut das auch deshalb aufrichtig leid, weil die Bürgermeisterin im Fragenhagel auf die Frage, was sie am meisten ärgere, gesagt hat: Wenn man Unwahrheiten über mich verbreitet. – Und jetzt das: „jung“…..mit Haken.

Ich vermute, dass dieser Beitrag vom politischen Gegner als unfair eingestuft wird. Und dass Leute sagen: Sind wir jetzt im Kindergarten, sich um solche Sachen zu bekriegen?

Nun, ich empfinde es anders herum. Und wer mich wählt, muß wissen, dass ich nicht alles ertragen kann. Ich empfinde es als unfair, in den letzten Tagen des Wahlkampfes das Alter als ein (verstecktes) Argument anzubringen und unter der Hand eine Botschaft zu vermitteln, die da heißt: die anderen sind (zu) alt.

Natürlich kann man sagen, dass das da nicht steht. Dass das nicht gemeint sei. Dass es im Vergleich doch stimmt, und das hätte man betonen wollen. Man sei sich keiner Schuld bewußt.

Mag sein – wie gesagt: Ich hoffe inständig, dass es so ist! Zwischen schlimmen Verdacht und Unschuldsvermutung tobt aber in mir ein Kampf.

Im Ergebnis ist es auf alle Fälle so, dass hier etwas Falsches öffentlich gemacht wird und zur Eigenwerbung eingesetzt wird. Das empfinde ich erstens als unfair und das macht mich zweitens fassungslos.

Jung ist Frau Große Heitmeyer nicht. Ich bin einige Jahre älter. Und erst dann wird es richtig: Im Vergleich zu mir als 55- Jährigen ist die Bürgermeisterin jung, im Vergleich zum 64 -jährigen SPD-Kandidaten auch. Ist das ein Argument für irgendwas?

Das müssen Sie entscheiden! –

Habe ich überreagiert? – Auch das dürfen und müssen Sie beurteilen!

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