12. September 2020 12. September 202014. September 2020 Erck Rickmers heißt der Mann aus Bremen, der aus einer traditionsreichen Bremer Familie stammt, die mit einer Reederei reich geworden ist. Er ist der Gründer eines neuen Instituts in Hamburg, das „sich sehr grundsätzlich mit dem Wachstumsbegriff beschäftigen soll“. Der Autor des Artikels „Motor für den Systemwandel“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 210 vom Freitag, 11. September 2020, S. 12), Till Briegelb, erinnert daran, dass hier „das sehr Unwahrscheinliche“ geschieht. „The New Institute‘ heißt Rickmers Impulsanstalt, für die er neun historische Stadtvillen direkt an der Alster gekauft hat, die gerade in eine akademische Agora mit Säulen und Stuck verwandelt werden. Und die Leiterin der Denkabteilung, die jetzt bestellt wurde, läßt wenig Zweifel daran aufkommen, ob es Erck Rickmers ernst ist mit dem Zündeln am Fundament eines Wirtschaftsglaubens, durch den er reich wurde.“ Ein solcher Satz in der Zeitung läßt den Theologen aufhorchen. Er macht deutlich, dass der Bereich Wirtschaft keineswegs nur nach den Gesetzen der Vernunft organisiert ist und funktioniert, sondern auch nach „Glaubens-Grundsätzen“, dass er also in den Bereich der Religion gehört. „Man muß dran glauben“ heißt darum auch ein sehr kluges Buch von Jochen Hörisch, einem Mannheimer Literatur-Prof. Er zeigt darin, dass der real existierende Kapitalismus eine äußerst wirksame Religion darstellt, die entscheidend auf „Glaubenssätzen“ mit „Verheißungscharakter“ beruht und die viele Opfer fordert und kostet. Denn die kapitalistische Wirtschaft erzeugt „seine Gewinne durch ein System, das ständig auf Kosten der Menschheit und des globalen Ökosystems expandiert“, schreibt Briegelb. Das bedeutet: Das, was Religionskritiker in der Regel den „klassischen Religionen“ vorwerfen, dass sie viele Menschenopfer fordern, das trifft heute auf unser Wirtschaftssystem zu. Papst Franziskus hat diese bittere Wahrheit einmal mit dem Satz belegt: ‚Diese Wirtschaft tötet‘. Unser Wirtschaftssysthem trägt also religiöse Züge, wie Soziologen eindrucksvoll aufweisen. So auch der Salzburger Rainer Bucher: „Dass das Geld ‚am Ende sogar die Religion‘, als letzten in der Tradition wurzelnden Orientierungspunkt‘ ersetzt und sich unauffällig an deren Stelle setzt‘ (so der Theoretiker Simmel), ist offenkundig. Der kulturell hegemonial gewordene Kapitalismus ersetzt dabei die alten Angsterzeuger und Angstbewältiger, Sehnsuchtsproduzenten und Sehnsuchtserfüller nicht komplett, aber er drängt sie (…) zurück. Die einschlägigen Untersuchungen zeigen: Unter der Herrschaft des Kapitalismus verschwindet Religion nicht, aber sie wird deutlich relevanzgemildert. (…) Der Kapitalismus macht, was alle Souveräne tun, er macht sich die anderen untertan, auch die Religion.“ (Rainer Bucher, Christentum im Kapitalismus. Wider die gewinnorientierte Verwaltung der Welt. Würzburg 2019, S.58) Seitdem mir das klar geworden ist, stemme ich mich als Pastor nicht mehr gegen den Bedeutungsverlust der Kirche und des Christentums. Wenn man verstanden hat, dass der Kapitalismus alle Signaturen eines höchst effizienten, ja allmächtigen Religionssystems in sich trägt, dann ist klar, dass er alles andere zermalmt: auch die christliche „Religion“. Das einzige, was jetzt noch helfen kann, ist Religionskritik. Die aber setzt voraus, dass man den Kapitalismus als Glaubens- und Religionssystem überhaupt erkennt und entlarvt! Und nicht als „natürliches“ und „einzig vernünftiges“ Organisationsprinzip von Wirtschaft ansieht, dem gegenüber alternative Denkansätze nach dem Prinzip einer „verantwortungsvollen Haushalterschaft“, wie es die Bibel empfiehlt, als wirklichkeitsfremde Träumereien von (grünen) Idealisten gebranntmarkt wird. Also: „Zündeln am Fundament eines weit verbreiteten Wirtschaftsglaubens“, das ist der Ansatz des Hamburger Institutes. Dessen Direktorin ist „eine zentrale Figur des Zukunftsdiskurses. Wenn es um eine wissenschaftliche Kritik der ökonomischen Grundannahmen geht, nach denen der moderne Kapitalismus agiert“, dann kommt man an Maja Göpel nicht vorbei. „Wirtschaftswachstum in seiner heutigen Form heißt Klimawandel.“ – „Nicht zuletzt wegen ihres öffentlichtkeitstauglichen Talents, die ‚Scheinwelt‘ ökonomischer Glücksversprechen zu zerlegen, die endloses Wachstum und Wohlstand durch Konsum als garantiert erklären, ist Göpel die vermutlich ideale Hauptfigur des neuen Wissenschaftskollegs.“ Das also ist das Ziel des neuen Hamburger Instituts: Es soll helfen, „einen Paradigmenwechsel im wirtschaftlichen und sozialen Denken zu befördern, der andere Werte betont und Modelle einführt als die bestehenden mit ihren offensichtlich dysfunktionalen Ergebnissen“. Auch die ZEIT berichtet über das Institut und seine Leiterin unter der Überschrift „Denkerin auf der Baustelle“. „Maja Göpel ist eine der einflußreichsten Stimmen in der Debatte um Deutschlands ökologische Zukunft. Die Politökonomin und Medienwirtin fragt, nach welchen Werten und mit welchen Regeln Gesellschaften ihre Wirtschaft organisieren, welchen Einfluß Entscheidungen auf Klima und Umwelt haben – und ob das nicht auch anders geht.“ Göpel sagt: „Ich bin „manchmal doch erstaunt darüber, wie wenig sich diejenigen erklären müssen, die breitbeinig business als usual vertreten, als hätten wir nicht genau dadurch ein wachsendes Problem.“ Gleichzeitig ist die erst 44jährige Wissenschaftlerin Optimistin: „Immer nur diese Erzählung von Verzicht, von Verboten, von Veränderungen, die wehtun. Nee! Wieso reden wir nicht über all die Dinge, die wieder wachsen können, wenn wir aufhören, unseren Planeten zu zerstören‘“, sagt Göpel, also: eine gesunde Umwelt, eine solidarische Gesellschaft, Zeit für Bildung, Familie, Gemeinschaft oder Gesundheit. ‚Um solche Dinge geht es doch am Ende.‘“ (Fritz Habekuss, in Die Zeit Nr. 38 vom 10, September 2020, S. 34) Damit formuliert Maja Göpel exakt das Programm, das ich als Bürgermeister in Westerkappeln verfolgen würde. Ein „anderes Leben“ mit einem anderen Lebensstil, in dem weniger mehr ist, ist kein schlechteres Leben als das, was sich bei uns in den letzten Jahrzehnten als erstrebenswert etabliert hat. In Westerkappeln würde ich mit den GRÜNEN gerne ganz viel zum Wachstum bringen und beim Wachsen helfen, was wachsen sollte: ein Zusammenleben, das dem Gemeinsinn und Gemeinwohl verpflichtet ist. Eine Solidarität, die Rücksicht auf den anderen nimmt und Verständnis für sie entwickelt. Eine neue Art, sich zu bewegen: mit dem Rad, lärmfrei, emissionsfrei, stressfrei, sicher. Eine Haltung der Achtung vor Tieren als unseren menschlichen Mitgeschöpfen, ohne die wir nicht leben wollen und nicht überleben können. Ein Wohnungsmarkt, der auch finanziell weniger Begüterten eine schöne Wohnung ermöglicht. Ein Ortskern, der für Rollifahrer wie für Kinderwagen gut zu befahren und zu begehen ist – und der Raum bietet für kulturelle Veranstaltungen und politische und gesellschaftliche Diskussionen. Die kann man gut mit Partnern organisieren wie z.B. der Evangelischen Erwachsenenbildung oder der Volkshochschule. Eine gute und offene Diskussionskultur, die könnte und sollte auch wachsen… Viele wissen, dass ich am Comenius-Kolleg in Mettingen das Fach Religion unterrichte. Dass es so eine großartige Bildungseinrichtung in der Nachbarkommune gibt, ist ein großer Segen! Viele Menschen aus Westerkappeln haben davon in den letzten Jahrzehnten viel „für’s Leben gelernt“ und einige gehen dort heute noch zur Schule. In meinen Bereich gehört auch die Behandlung der Religionskritik nach Feuerbach, Marx, Nietzsche und Freud. Für Freud war Religion – er meinte die klassischen – „Gift“ und seine Ausführungen in der berühmten Kulturtheorie von 1927 („Zukunft einer Illusion“) nennt er als den einzigen Zweck seiner Schrift „die Erziehung zur Realität“. Religionskritik möchte die Welt aus ihren Illusionen reißen und sie zur ungeschönten Realität ermutigen. Ich möchte als grüner Bürgermeister diesen Ansatz aufnehmen und gerne mit den Westerkappelnern zusammen zeigen, dass es eine Alternative zum allmächtigen und letztlich zerstörerischen Religionsbetrieb des Kapitalismus gibt. Dazu müßte man sich zuerst gedanklich auf den Weg machen. Dann müßte man das einüben, was man verstanden hat und in politische Ideen und Optionen umsetzen. Das Wahlprogramm der Grünen in Westerkappeln vom 22. Mai hat den Aufschlag dazu gemacht. Das politische Tagebuch seit 8. Juni hat versucht, dazu konkrete Überlegungen anzustellen, die auf einem zukünftigen Weg hilfreich sein könnten, wenn die Bürgerinnen und Bürger das wollen: und morgen so viel GRÜN wählen, dass unsere Argumente Gehör finden.